Vaterland, 2024 – ongoing |
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Vaterland – Eric Meier
Verlassenheit entsteht, wenn aus gleich welchen personalen Gründen ein Mensch aus dieser Welt hinausgestoßen wird oder wenn aus gleich welchen geschichtlich-politischen Gründen diese gemeinsam bewohnte Welt auseinanderbricht und die miteinander verbundenen Menschen plötzlich auf sich selbst zurückwirft. (Hannah Arendt EU)
Augen, so heißt es, sind das Fenster zur Seele. In ihnen erkennt man Lüge, Witz, Schmerz, und Freude. Schaut man in die Augen der von Eric Meier porträtierten Menschen blicken einem blasse Gesichter müd und leer entgegen. Sie zeugen von einem lange übersehenen Schicksal ostdeutscher Transformationsgeschichte nach der Wende. Mit seiner Werkreihe „Vaterland“, die Männer aus einer Wohnstätte für Alkoholiker in Eisenhüttenstadt zeigt, wirft der in Ost Berlin geborene und in Frankfurt an der Oder aufgewachsene Künstler einen einprägsamen und berührenden Blick auf diese Geschichte und gibt damit von der Gesellschaft vergessenen Menschen eine neue Sichtbarkeit.
Dabei schaut er hin, wo viele wegschauen und deckt wie ein Archäologe die Spuren auf, die die der Mauerfall und die damit einhergegangene Veränderungen bei den Menschen und den Städten in all seiner Ambivalenz hinterlassen hat. Besonders die dabei entstandenen Bilder der alkoholkranken Männer sind ungeschönt und ehrlich. Schonungslos wird jeder Teil ihrer Körper unter die Lupe genommen und der Blick auf von Narben gezeichnete Beine, von Schweiß befleckte Nacken und von Arbeit geformte Hände gerichtet. Mit von der Last der Vergangenheit gebeugten Rücken hängen die Fotografierten schlaff in den Stühlen. Ihre Haltung erscheint als ein groteskes Zitat einer längst verloreneren Pose der Männlichkeit. Was einst für Kraft und Selbstbewusstsein stand, offenbart nun in seiner Gebrochenheit eine nicht zu unterdrückende Verletzlichkeit.
Es scheint so, als könne man die ambivalenten, zwischen Freiheitssehnsucht und Verwahrlosung pendelnden Lebensgeschichten in der Kleidung der Porträtierten wiederfinden. Die Shirts, so alt wie die verbleichenden Tattoos auf den Armen ihrer Träger, sind ausgewaschen und stehen konträr zu den Logos und Bildern, die sie zeigen. Ob „Pink Floyd“, „Camp David“ oder die Abbildung eines stereotypen Bildes eines nordamerikanischen Indigenen: Die US-amerikanischen Motive verweisen in diesem Sinne auf ein Freiheitsversprechen, das für die Fotografierten niemals wirklich in Erfüllung ging. Wie die Kleidung offenbart sich ihr Freiheitstraum als abgenutzt, ausgetragen und zu einer stereotypen Idee verkommen.
Was den Menschen angesichts ihrer geplatzten Träume, enttäuschten Hoffnungen und falschen Versprechen oft nur bleibt, ist Wut. Bei Meier kommt dieses Gefühl durch die Werkreihe „Tage der Wut“ zum Ausdruck. Sie zeigt monochrome rechteckige Flächen, bei denen man buchstäblich Schwarz sieht. Sie erinnern an die schwarzen Quadrate von Malewitsch. Auch sie drücken eine Leere und Schwere aus. Doch anders als bei dem russischen Avantgardisten sind Meiers Kohlezeichnungen nicht undurchdringlich. Vielmehr durchdringt sie ein feines Rauschen, hinter dem etwas verborgen zu liegen scheint. Sie lösen bei dem Betrachter eine suchende Verunsicherung aus und affizieren damit eine Gefühlswelt, die die Wendegeneration der ehemaligen DDR bis heute prägt.
So wie einst die Stahlarbeiter in der Industrie galten in der ehemaligen DDR Glasbausteine und Waschbetonplatten als Symbole eines architektonischen Fortschritts. Sie standen für Stabilität, Geradlinigkeit und Modernität und prägten die Bilder der ostdeutschen Städte. Meier greift in seiner Arbeit „Aufbau(Ost)“ diese ikonischen Gegenstände auf und präsentiert sie verformt wie zu einem Müllhaufen zusammengekehrt in der Mitte der Ausstellung. Es ist der Müll der Vergangenheit, der wortwörtlich im Weg steht und über den man stolpert. Zugleich geht von ihm aber auch ein Glanz aus, der an die fast unnatürlich aufgeputzten ostdeutschen Innenstädte erinnert, die oft konträr zu ihren Stadtleben stehen. Aufbau Ost: Mehr Schein als Sein. Ergänzt wird diese Ästhetik der Verwahrlosung durch die Arbeit „Tunnelblick“. Mit einem in die Wand gehauenen Schriftzug „East“ bringt Meier ein Graffiti aus einer heruntergekommenen Unterführung aus Eisenhüttenstadt in die Galerie und setzt damit eine nicht zu übersehene Überschrift zu seinen Arbeiten.
Der Osten ist mit seiner Vergangenheit und Gegenwart in Stein gemeißelt. Wie der Soziologe Steffen Mau zeigt, ist er nie verschwunden und bestimmt nach wie vor die Lebensrealität der dort lebenden Menschen. Die damit verbundenen Lebensgeschichten nicht auszublenden, sondern genau hinzuschauen und ins Zentrum unserer gesellschaftlichen Reflexion zu holen, muss besonders angesichts der politischen Lage innerhalb der neuen Bundesländer Aufgabe der Gesellschaft sein. Die Ausstellung von Eric Meier geht auf ausdrucksstarke und zugleich sehr sensible Art und Weise mit gutem Beispiel voran, indem er die Vergangenheit in ihrer zum Teil verwirrenden Ambivalenz und Komplexität behandelt und damit Gegenwart und Zukunft kritisch kommentiert.
– Friedrich Weißbach